Nach neuesten Äußerungen von Telekom-Chef Höttges nennt man sie auch die „Internet-Maut“. Dank schwammiger Formulierungen in der Verordnung könnten Provider in der Lage sein, das Netz neu zu regeln.
Chronologie einer Selbstlüge
Mit dem immer größer werdenden Angebot von Internetdiensten, welche alle ihre Datenpakete über die Leitungen der Provider (Telekom, Vodafone usw.) schicken, ist den Provider selbst aufgefallen, dass sie ihre Netze noch weiter ausbauen müssen um Datenstaus zu verhindern. Diese Ausbauten kosten Zeit und Geld und kommen leider nicht so schnell voran, wie man sich das in der Führungsetage der Telekom vorstellt. Also werden Lobbyisten zum Europa-Parlament geschickt um einen Änderungsvorschlag zur Netzneutralität zu forcieren und am 27.10.2015 durchzusetzen. Jene Netzneutralität die eigentlich sicherstellen soll, dass alle Datenpakete bei der Übersendung gleich behandelt werden – egal welche Herkunft oder welches Ziel sie haben.
Das große ABER
Innerhalb des Änderungsvorschlages wimmelt es jedoch nur so an schwammigen Formulierungen und frei interpretierbaren Begriffen. Sogenannte Spezialdienste sind ein zentraler Aspekt dieser Verordnung. Ihnen wird vorbehalten, auf einer Highspeed-Fahrspur ihre Datenpakete bevorzugt senden zu dürfen, sodass sie nicht in einen Datenstau geraten. Wichtig wird dies bei der Telefonie oder etwa der Verkehrssteuerung, welche zu jeder Zeit eine stabile und schnelle Leitung benötigen. Allerdings steht nirgends, dass es sich bei diesen Spezialdiensten ausschließlich um, sagen wir mal, „lebenswichtige“ Anbieter handelt. Bereits Ende letzter Woche hat Timotheus Höttges angekündigt gegen eine Umsatzbeteiligung von „ein paar Prozent“ Streaming-Dienste oder Online-Gaming genauso bevorzugt zu behandeln. Schon jetzt dürfte klar sein, dass die Verbraucher diese zusätzliche Last zu tragen haben.
Vom Zwei-Klassen-Internet bis zum Zero Rating
Von Vodafone heißt es, dass man den Vorschlag der Telekom unterstütze. Gesetz den Fall, das Netz wäre stark beansprucht, was wohl fast jeden Abend passieren dürfte, kommen die Datenpakete der Spezial-Streaming-Dienste und Spezial-Online-Gaming-Anbieter schneller beim Nutzer an als die der Anbieter, welche die Provider nicht prozentual an ihrem Umsatz beteiligen. Das Zwei-Klassen-Internet ist geboren und bringt noch ein weiteres Geschenk zur Geburt mit: Das Zero Rating.
Telekom und Co. als Verkehrspolizisten
Was vorher noch strengsten untersagt war, bietet jetzt den Providern die Möglichkeit bestimmte Dienste (vornehmlich Musik-Streaming) aus der Berechnung von Datenvolumen für Flatrates herauszurechnen – etwa so als würde man bei einer Verkehrszählung alle BMWs ignorieren. Ein gesundes Konkurrenzklima wäre dahin und neue Markteintritte kämen nur noch alle Jubeljahre vor.
In dem Änderungsvorschlag heißt es weiter, dass es den Providern erlaubt ist, die komplette Geschwindigkeit der Datenübertragung zu drosseln, sobald eine Überlastung bzw. ein Datenstau droht. An dieser Stelle wird offen gehalten was für Bedingungen ein solcher Fall mit sich bringen muss. Es ist an den Providern selbst zu entscheiden, wann eine Drosselung der Datenübertragung sinnvoll ist. Web-Erfinder Tim Berners-Lee geht sogar noch einen Schritt weiter:
Auszug der Erklärung von Tim Berners-Lee zur Netzneutralität (Quelle: Web Foundation)
Sinngemäß befürchtet er eine Drosselung der Übertragungsgeschwindigkeit verschlüsselter Daten. An dieser Stelle müssten sich die Provider aber sicherlich vor den Behörden verantworten – am Ende könnte es wieder nur die Verbraucher treffen.
Reine Auslegungssache
Insgesamt wurden die Stimmen der Opposition, auch innerhalb des EU-Parlaments, wenig gehört. Die Verordnung ist als Sieg der Provider-Lobbyisten zu bewerten und könnte ihnen gewaltige Macht über die Datenübertragung innerhalb der EU geben. Dennoch ist abzuwarten wie die Verordnung von den Staaten angewandt wird – hier heißt es immer noch, dass sich niemand eine bevorzugte Datenübertragung erkaufen könne. Zudem besteht immer noch die Möglichkeit gegen diese Verordnung zu klagen, in der übrigens an keiner Stelle das Wort „Netzneutralität“ steht – sollte uns das nicht zu denken geben?!